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Wer danach fragt, wie sich das Grundeinkommen jemals finanzieren soll, stellt die falsche Frage.
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Der Beitrag von Thomas Straubhaar in der “Welt” hat mich dazu veranlasst, mal ein paar meiner Gedanken zu dem Thema niederzuschreiben.
Ich befinde mich seit ein paar Jahren in einer angenehmen Phase meines Erwerbslebens. Die Firma, die ich vor 16 Jahren gegründet habe, wurde dann doch mal erfolgreich und beschert mir ein gutes Einkommen. Ich befürworte also das BGE nicht, weil ich mir davon einen persönlichen Vorteil erhoffe.
Halt. Doch, ich erwarte einen persönlichen Vorteil — allerdings keinen finanziellen.
Das Glück — nennt es meinetwegen das “Glück des Tüchtigen” — das ich in letzter Zeit hatte, teilen nämlich recht wenige in meinem soziokulturellen Umfeld. Einige in meiner Filterbubble leben von ALG2, andere von Minijobs, ein guter Teil hat einen mehr oder eher weniger sicheren Job, der ausreicht, um die Familie zu ernähren und einzelne stehen noch besser da als ich.
Alle aber haben eines gemeinsam: Eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Angst vor der Zukunft und dem sozialen Abstieg. Beziehungsweise Hoffnungslosigkeit bei denen, die schon ganz unten sind.
Der Voteil, den ich mir — auch persönlich — erhoffe, ist ein System, das diese Angst besiegt.
Aber können wir uns das denn leisten? Wer soll denn das bezahlen?
Bei dieser Frage muss man sich von Begriffen wie Steuer, öffentliche Überschuldung und sogar Geld lösen. Was ich damit meine ist, man solle die Wirtschaft nicht monetär betrachten, sondern nach ihrer Fähigkeit, alle Bürger ausreichend zu versorgen.
Und wenn man das Geld ausblendet, stellt man fest, das wir in einer Überflussgesellschaft leben. Und das weltweit. Es gibt genügend Nahrung, um alle zu versorgen. Es gibt genügend Güter jedweder Art, um alle zu versorgen. Ja, es gibt sogar viel zu viel davon, so dass die Wirtschaft schon seit langem darauf aus ist, neue Bedürfnisse künstlich zu erzeugen und mittels geplanter Obsoleszenz die Maschinen am Laufen hält.
Wir sind eine Wegwerfgesellschaft — und trotzdem müssen viele in dieser Gesellschaft auf vieles verzichten, weil sie es sich nicht leisten können.
Die Arbeit geht uns aus
Die Automatisierung und die Verbesserung des Aufwand-/Ertragsverhältnisses hat schon in vielen Branchen dazu geführt, dass menschliche Arbeit nur noch einen sehr kleinen Teil der Wertschöpfungskette ausmacht. Und gerade die Automatisierung dreht sich von Jahr zu Jahr schneller.
In den 90er Jahren wurden viele Call-Center eingerichtet — viele hunderttausende Arbeitsplätze entstanden neu. Weg von der Industriegesellschaft, hin zur Dienstleistungsgesellschaft war das Credo. Heute werden in den Call-Centern massiv Arbeitsplätze abgebaut, weil die Automatisierung, hier speziell die sprachgesteuerten Telefonsysteme, trotz steigendem Anrufaufkommen viele Fälle ohne menschliche Interaktion selbst erledigen können.
In den letzten etwa 10 Jahren haben alle Unternehmen, vom DAX-Konzern, bis zum Handwerksbetrieb, Geschäftsprozesse ins Internet verlagert. Auch das hat hunderttausende Sachbearbeiter-Arbeitsplätze “vernichtet”.
Und das Rad dreht sich schneller und schneller. Es braucht keinen Propheten, um Beispiele zu erkennen, die uns in nächster Zeit bevorstehen: Der Taxifahrer wird in den nächsten 10 bis 15 Jahren überflüssig, weil die Autos nicht mehr mit dem Lenkrad, sondern nur noch mit dem Navi gesteuert werden. Der Supermarktkassierer wird aussterben, weil sich die Waren selbst an der Kasse (wir Netzbürger würde Pay-Wall sagen) registrieren. Mit ein wenig Phantasie kommt jeder von euch auf weitere Beispiele.
Selbstverständlich wird es auch in Zukunft weiter Tätigkeiten geben, die nicht, oder erst später automatisiert werden können. Noch ist die Roboter-Technik nicht weit genug fortgeschritten, um Pflegekräfte zu ersetzen. Aber auch hier wird sich der Arbeitsinhalt sehr verändern: Das, was die Pflege körperlich hart macht, wird wegfallen — es geht nach und nach in die soziale Komponente, das Zwischenmenschliche, über — und das werden wir, hoffentlich, auch in Zukunft nicht den Automaten überantworten.
Arbeit ist nicht mehr das zentrale Dogma, das uns ermächtigt, am Ausstoss unserer Volkswirtschaft einen Anteil zu beanspruchen.
Werden wir uns um die verbleibenden Jobs streiten? Werden wir neue Jobs erfinden, um weiterhin “Arbeit für Alle” zu haben? Warum? Keynes würde auf die Idee verfallen, Gräben auszuheben und von anderen wieder zuschütten zu lassen, doch das kann es nicht sein.
Ich glaube, dass in einer Gesellschaft, in der jeder ausreichend versorgt ist um keine Existenzangst haben zu müssen, zu viel besseren Ideen kommt, was “er” beitragen kann, um das Leben noch besser für alle zu machen.
Es ist ein Verteilungsproblem
Das jetzige System führt dazu, dass “die Reichen” über ein Einkommen verfügen, das sie quasi dazu zwingt, zu sparen. Sparen ist ein Euphemismus an dieser Stelle, denn eigentlich wäre es ja ein Verzicht heute, um morgen etwas zu erreichen. Aber ab einer gewissen Grenze bleibt einfach trotz so ziemlich allen sinnvoll zu befriedigenden Bedürfnissen am Monatsende Geld übrig.
Dieses Geld wird “angelegt”, und zwar in einer solchen Größenordnung, dass die Realwirtschaft, also der Teil der Wirtschaft, der etwas produziert, nicht ausreicht, um die Geldmassen aufzunehmen. Das Geld wandert also in die Finanzwirtschaft. Wer Glück — oder Sachverstand — hat, vermehrt es, der Andere verliert einen Teil oder alles. Doch das ist so ziemlich egal, weil in Summe bleiben die Forderungen auf Rückzahlung der “Investments” gleich.
Wenn ich eine Aktie kaufe, und diese verliert an Wert, so ist das Geld nicht verschwunden, sondern bei dem Marktteilnehmer, der mir die Aktie verkauft hat.
Wenn ich in ein Derivat investiere, dessen Wert vollkommen verfällt, so ist das Geld bei dem, der das Derivat ausgegeben hat.
Wenn ich eine Aktie kaufe, die sich im Wert gut entwickelt, so wandert das Geld halt zu mir.
Geld ist aber das falsche Wort, denn es handelt sich um eine Forderung. Diese Forderungen muss irgendwer irgendwann befriedigen, also sofern sie jemals aufgerufen werden. Befriedigen muss sie in der Zukunft am Ende die Volkswirtschaft.
Uns Deutschen geht es ja gerade in der Krise verhältnismäßig gut. Wir steigern den “Volkswohlstand” von Jahr zu Jahr (kann man gut bei der Bundeszentrale für politische Bildung recherchieren), sind immer wieder unter den Exportweltmeistern. Doch gegen wen haben wir diese Forderungen? Einen großen Teil gegenüber anderen Volkswirtschaften, die gerade an der Schwelle zum Kollaps stehen (kumulierter Exportüberschuss). Und einen noch größeren Teil gegen unsere eigene Volkswirtschaft in der Zukunft. Wieviel wir uns von diesen Forderungen am Ende noch kaufen können, ist ungewiss.
Doch der wachsende Anteil der weniger Glücklichen, der prekär Beschäftigten, der ALG2 Empfänger, der Geringverdiener in unserer Gesellschaft, die verzichten heute. Und morgen.
Hätten diese Geld, um es heute auszugeben, würde unsere Wirtschaft ein grandioses Wachstum hinlegen. Wir hätten mehr Nachfrage heute statt morgen. Und morgen wäre weniger Nachfrage aus “alten Forderungen” zu befriedigen, die Wirtschaft würde also auch morgen davon profitieren.
Wohlgemerkt, ich plädiere nicht für ein sozialistisches System, in dem alle gleich sind. Ich plädiere für ein System, in dem die Unterschiede zwischen “unten” und “oben” kleiner sind, weil ich davon überzeugt bin, dass das nicht nur den “unten” zum Vorteil gereicht, sondern auch den “oben” — eine Gesellschaft, in der weniger Menschen um die Existenz kämpfen müssen, in der weniger Menschen das Erreichte verteidigen müssen, ist eine Gesellschaft, in der es sich mehr lohnt, zu leben.
Wir haben die Ressourcen — wir brauchen ein System, das sie besser verteilt: das BGE.
Ich hab die übliche Polemik rund ums Thema so satt. Der Artikel hier ist wirklich schön geschrieben und überzeugt mit nachvollziehbaren Argumenten.
Langsam wird es zu einem echten Traum von mir, das BGE noch zu erleben (ich bin erst Anfang 40 …).